„Rote Sonne – dunkle Nacht“
Zur Theateraufführung am 12. Dezember 2018 im Offenburger Salmen
©Dr. Karin Jäckel
„Das erste Buch und gleich so ein Erfolg.“ Staunend über sich selbst, von der Freude über seinen Erfolg und dessen öffentliches Echo tief berührt. So stand er vor mir, unser AutorenNetzwerk-Kollege Hans Weide, als sich im Offenburger „Revoluzzer“-Traditionshaus „Salmen“ der Saal zu füllen begann. Gleich würde sich der Vorhang für das gleichnamige Theaterstück zu seinem Erstlingswerk „Rote Sonne – dunkle Nacht“ heben, mit dem Hans Weide und das Theaterensemble der „Theaterbühne im Keller“ vom Kulturkreis Lahr e.V. seit Wochen auf Erfolgstournee waren.
Als ich Platz nahm, voller Erwartung und Vorfreude auf die Überraschung, wie Christopher Kern den mir wohlbekannten Inhalt des Romans in ein Theaterstück umgesetzt habe, wurde jedoch zunächst mir eine Überraschung zuteil. Die Überraschung nämlich, in der Begrüßungsrede der Veranstalterin namentlich als Leiterin des AutorenNetzwerks Ortenau-Elsass, dessen Mitglied auch Hans Weide ist, angesprochen und als diejenige begrüßt zu werden, die ihm mit schriftstellerischem Rat und Tat zur Seite steht. Im ersten Moment war ich so überrascht, dass ich zwei Sekunden bis zum Aufstehen und mich für den Applaus Bedanken brauchte.
„Die Überraschung ist dir gelungen, lieber Hans“, kann ich jetzt nur sagen. „Ich habe mich gefreut. Nicht zuletzt auch, weil du unser Netzwerk in den Glanz deines Erfolgs eingebunden hast.“ Mehrere Interessierte haben mich später in der Pause und nach der Veranstaltung auf unser AutorenNetzwerk angesprochen und sich positiv dazu geäußert, dass es uns gibt. Das ist schön.
„Rote Sonne – dunkle Nacht“. Schon mehrfach hat Hans Weide im Rahmen von „Wortkunst & Musik“ des AutorenNetzwerks Ortenau-Elsass aus seinem Roman vorgelesen und sich den anschließenden Gesprächen mit dem Publikum gestellt. Nicht selten waren Zeitzeugen darunter, die selbst aktiv Widerstand in Whyl geleistet und sich in dann lebenslang bleibender Freundschaft mit den Elsässer Widerständlern verbündet haben. Unter ihnen auch Paul Güde, unser Ehrenmitglied im AutorenNetzwerk und einstiger Chef des Ottersweierer Aspichhof-Hofguts, der mit seinen lebensnahen, humorvoll-besinnlichen Mundart-Geschichten vom Aspichhof dessen Bewohnern und Tieren im Einklang mit der Natur ein Denkmal setzt und als einer der im alemannischen Sprachraum bekanntesten Mundart-Erzähler gilt.
Wer Hans Weides Roman über den Widerstand der Kaiserstühler gegen die Atomkraft gelesen hat, wundert sich nicht, dass daraus ein zündendes Theaterstück entstehen konnte. Der Text hat alles, was ein Theaterstück oder Film braucht: Eine Liebesgeschichte, lebensnahe Situationsbeschreibungen und Dialoge, einen hochdramatischen Erzählstoff, gesellschaftliche Brisanz. Vor allem aber Glaubwürdigkeit. Man spürt als Leser, dass der Autor weiß, wovon er schreibt, dass er seine Geschichte nicht aus Sekundärmaterial recherchieren musste, sondern selbst durchlebt und sie vor dem Hintergrund authentischer Ereignisse verfasst hat.
Ereignisse, die er als persönlich ins Geschehen involvierter Zeitzeuge miterlebte, als von Anfang bis Mitte der 1970er Jahre in der kleinen Gemeinde Whyl am Kaiserstuhl Ernst mit dem Widerstand gegen die Baupläne der Regierung wurde und zugleich der Widerstand gegen den Widerstand aufbrach. Ein Pro und Contra, das die ganze Gemeinde bis in die Familien und beste Freundschaften hinein spaltete. Von der baden-württembergischen Regierung unter Ministerpräsident Filbinger geplant und mit immer härterer Amtsgewalt vorangetrieben, brachte der Atomkraftwerksbau die Menschen sowohl zusammen, als auch auseinander.
Am Beispiel eines fiktiven Liebespaares, der Ostfriesin Elke und ihres Ehemannes Wolfgang, eines Winzersohns aus Whyl, der in Freiburg als Amtsrichter arbeitet, zeichnete Hans Weide nicht nur die zerstrittenen Lager in den Familien, sondern auch den friedlichen Protest von Whyler Bürgern, Landwirten aus der Kaiserstühler Umgebung, aus dem Elsass und von Freiburger Studenten, Linken Gruppierungen und anderen Sympathisanten der damals noch jungen Umweltbewegung nach.
Glaubwürdig brachten die Darstellerinnen und Darsteller auf der Theaterbühne im Salmen deren Konflikte, Emotionen und Motivationen zum Ausdruck. Trotz aller Brisanz fehlt es dem Stück weder an Situations- noch Sprachkomik. Authentisch wirkte der Sprachmix der im Schmelztiegel des Kaiserstuhls zusammengewürfelten Einheimischen und Zugereisten aus der Nachkriegszeit. Immer wieder brandete Gelächter über den preußisch-ostpreußischen Zungenschlag einer auch Jahrzehnte nach der Heimatvertreibung noch immer als Flüchtling geltenden Widerstandsteilnehmerin und ihres Ehemannes, im Publikum auf. Beide hatten in Whyl eine neue Heimat gefunden, die sie nun mit den Alteingesessenen verteidigten und sich dabei erstmals ernst- und angenommen fühlten.
Nicht minder oft bestätigte aber auch Kopfnicken im Publikum die Handlung und die ihr zugrunde liegende innere Haltung, die heute das Umweltbewusstsein weitaus stärker prägt als seinerzeit.
Gemeinsam zur Gitarre und Mundharmonika singend, hielten die Atomkraftgegner von dies- und jenseits des Rheins schließlich am Lagerfeuer „eine andere Wacht am Rhein“ als früher, als die Regierenden die Badener und Elsässer gegeneinander hetzten und zum Totschießen zwangen.
Das Whyler Drama gipfelte schließlich in der Befehlsverweigerung des leitenden Polizeibeamten, der von der Obrigkeit mit der Durchsetzung der Räumung des von den Widerständlern besetzten Bauplatzes beauftragt wurde. Schlagstöcke, Wasserwerfer und schweres Gerät sollten gegen friedlich und zugleich hartnäckig demonstrierende Männer, Frauen und Kinder aller Alters- und Herkunftsgruppen eingesetzt werden. So mancher der Polizisten hatte Verwandte, Freunde unter ihnen. Ein Blutbad und schwerste Gewissenskonflikte waren zu erwarten. Für den leitenden Polizeibeamten ein Unding. "Ich kann das nicht", lehnte er den Auftrag ab.
Als der Befehlshaber den leitenden Polizeibeamten dennoch nicht aus der Pflicht entließ, wandte dieser sich heimlich in höchster Gewissensnot an einen mit dem Widerstand sympathisierenden Geistlichen, der mit einem anderen Geistlichen befreundet war, der wiederum ein Freund Filbingers war und diesen in einem Telefongespräch überzeugen konnte, dass die Zwangsräumung sofort abgebrochen werden müsse. Eine Aktion, die letztlich zum dauerhaften Baustopp führte und heute als Beginn des Ausstiegs aus der Atomkraft gilt.
Der damals den Befehl verweigernde Polizeibeamte war der spätere Autor Hans Weide. „Nicht stolz“ sei er darauf, sagt er heute. Schließlich sei er überzeugter Polizeibeamter gewesen und habe seinen Dienst mit allem Ernst durchgeführt. „Aber glücklich“ sei er, was das Ergebnis angehe.
Ohne Folgen sei es für ihn nicht geblieben, räumte er im Salmen auf Befragen ein. Seine Karriere habe einen nachdrücklichen Dämpfer erhalten, auch sei er, der eingefleischte Badener, für einige Monate nach Stuttgart strafversetzt worden. Doch letztlich sei man glimpflich mit ihm verfahren und er am Ende seines Dienstlebens in allen Ehren in den Ruhestand entlassen worden. Darüber sei er froh und dankbar.
Wie die Sache gelaufen sei, habe damals nur eine Dreiergruppe gewusst, nämlich er und seine beiden Verbündeten. Sie hätten strengste Geheimhaltung vereinbart und diese auch über Jahre hinweg eingehalten. Nur einem Moment der Unachtsamkeit sei es zuzuschreiben, dass einem der beteiligten Geistlichen der Name Hans Weide entfiel und einem Journalisten zu Ohren kam, der ihn weitertrug.
„Nein“, sagte Hans Weide mit dem für ihn typischen Schmunzeln, es habe ihm nie etwas ausgemacht, dass sein Verdienst um den Atomausstieg am Kaiserstuhl zuvor nie öffentlich bekannt war. Im Gegenteil. Schließlich sei er damals junger Familienvater gewesen und würde man ihn vom Polizeidienst suspendiert haben, wären die Folgen für die ganze Familie hart gewesen. Nur ein einziges Mal habe er ein wenig bedauert, dass niemand etwas wusste. Das sei der Moment gewesen, als auf dem damaligen Platz, den zu räumen er sich geweigert hatte, ein Denkmal des Widerstands errichtet worden sei. Damals wäre auch er gern dabei gewesen.
Das von Christopher Kern nach Hans Weides Roman auf die Bühne gebrachte Theaterstück zog im Salmen verdient große Aufmerksamkeit auf sich. Ein Paradestück der Zivilcourage wurde damit gewürdigt, die damals von jedem einzelnen Beteiligten aufgebracht wurde. Zugleich wurde ein Lehrstück daraus, das zeigt, dass Gewalt keine Lösung ist, sondern die Kraft im friedlichen Protest liegt.
Ein Bild dieses Abends behalte ich besonders gern in Erinnerung: Meinen Autorenkollegen Hans Weide sein Werk signierend und die lange Reihe der Wartenden vor seinem Tisch, für die er das Buch signieren durfte.