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Schweigen, Verheimlichen, Vertuschen - Das Credo in Sachen Kindesmissbrauch in der Kirche

Wundert es noch jemanden, dass auch die aktuelle Studie zum sexuellen Kindesmissbrauch durch katholische Gottesmänner zwar horrende Betroffenenzahlen nachweist, die im sogenannten Hellfeld liegen und die des Dunkelfeldes mit Sicherheit weit unterschreiten, die verantwortlichen „Hirten“ aber, die sich durch Gott persönlich in ihr Priesteramt berufen fühlen, durch Abwesenheit bei der öffentlichen Präsentation der Studie glänzen oder ihre Mitschuld dementieren?

 

Schweigen, Verschweigen, Verheimlichen, Vertuschen, - das ist die perfektionierte Kunst der Gott geweihten Männer. Wie sehr gut sie dies beherrschen, habe ich erst unlängst in eigener Person wieder erlebt, als ich vom Bischöfliche Ordinariat in Freiburg als Zeugin eines in Oberkirch stattgefundenen Kindesmissbrauchs eingeladen wurde. Hinter dem unscheinbar neben einem Reisebüro befindlichen Befragungsort unweit des Bischöflichen Prachtpalastes saß ich einem Geistlichen als Richter gegenüber. Zwei weitere Priester vertraten die Kirche und den Angeklagten. Eine Notarin war als Protokollantin zugegen. Stunden der Befragung lagen vor mir. Mein Buch „Er war ein Mann Gottes“, die Grundlage meiner Zeugenbefragung, lag dabei auf dem Tisch. Sichtlich war es gründlich studiert worden.

 

Was ich gehört und gesehen und was man mich gefragt habe, dürfe ich niemandem erzählen, sagte man mir zum Schluss und ließ mich ein entsprechendes Schweigeversprechen unterschreiben. Auch mit dem Opfer dürfe ich kein Wort darüber reden. Entsetzen auf allen Gesichtern, als ich erklärte, auf jeden Fall meinem Ehemann davon zu berichten, der seit Stunden irgendwo in der Stadt auf mich wartete.

 

Das für mein Verständnis bitterste Schweigen leisteten sich die drei Gottesmänner allerdings, als ich ihnen zum Abschluss der Befragung erklärte, wie tief enttäuscht das Opfer und ich darüber waren und sind, dass für das Opfer kein einziges Wort des Mitleids oder gar des seelsorgerlichen Trostes von demjenigen katholischen Priester kam, der einst Zeuge des Missbrauchs in Oberkirch wurde und dem missbrauchten Kind Hilfe versprochen hatte, die niemals geleistet wurde. Stumm hörten die drei Herren in Schwarz sich meine Klage an, stumm hielten sie den Blick gesenkt, stumm standen sie auf, als ich aufstand, um zu gehen. Höflich lächelnd erfolgte die Abschiedsformel im Angesicht des Münsterdachs, ganz, als hätte ich nichts zu beklagen gehabt.

 

Vor Erscheinen des Buches hatte ich diese Klage schon einmal erhoben. Ich hatte dem betreffenden Gottesmann aus Recherchegründen nach Rom, in den Vatikan, geschrieben. Wissen hatte ich wollen, warum er dem Kind, dem damaligen Opfer, nicht geholfen habe. Und ob er heute helfen werde, indem er die junge Erwachsene trösten, ihr geistlich beistehen wolle, die schwer unter den Folgen des Kindesmissbrauchs litt. Eine Antwort erhielt ich nie.

 

Kurz nach Erscheinen des Buches, zur Pfingstzeit, wenn Gott laut Bibel die Erleuchtung über seine Priester kommen lässt, schrieben das Opfer und ich dem einstigen Zeugen erneut, diesmal auf dem Umweg über eine private Adresse. Erhalten hat er den Brief wohl, gelesen vielleicht auch. Eine Antwort an mich, ein Wort des seelsorgerlichen Trostes an das Opfer blieben aber auch diesmal aus. Nur eine Weihnachtskarte mit einem wundervollen frommen Bild aus dem Vatikan erreichte mich in dem betreffenden Jahr aus Rom. Ansonsten Schweigen.

 

Schweigen auch jetzt also über meine kirchenrichterliche Befragung und deren Ergebnis gegenüber dem Opfer. Zwar gibt es ein seitenlanges Protokoll dazu, doch dem Opfer wird es nicht bekannt gegeben. Es gilt im anhängenden kirchenrechtlichen Verfahren gegen den Beschuldigten nämlich nicht als Klägerin, sondern nur als Zeugin, der kein rechtsanwaltlicher Beistand zur Seite steht und der gegenüber keine gesetzliche Informationsgleichstellung gilt. Und ich soll ja nicht darüber reden.

 

Das Reden übernehmen die Opfer zum Glück immer öfter selbst. Nur begrüßen kann ich die Gründung eines neuen Vereins, über den kürzlich die Badische Zeitung berichtete. Als kirchlich unabhängige „Betroffeneninitiative Süddeutschland“ wird er sich künftig für die Interessen der Opfer sexuellen Missbrauchs durch katholische Geistliche widmen. Zehn Gründungsmitglieder, so die BZ, taten sich zur Vereinsgründung zusammen. Gemeinsam biete man Hilfe für alle Betroffenen aus den Diözesen Freiburg, Würzburg, München-Freising, Regensburg und Rottenburg-Stuttgart an.

 

Mehr über diesen vielversprechenden neuen Verein weiß das Internet: www.betroffeneninitiative-sueddeutschland.de

 

Ich kann dem Verein als Institution und allen Betroffenen nur Glück und Erfolg und kluge, starke Worte und Taten wünschen.

 

 

Mittelbadische Presse, Offenburg (Ortenau)m 22. 02.2022
Mittelbadische Presse, Offenburg (Ortenau)m 22. 02.2022